Funkelnde Eisflächen, Bäume, die in den Himmel ragen: Salla Rautiainen sieht ihre Bilder als orte der Entspannung. Eine junge Künstlerin auf der Suche nach dem Gefühl von
Natur.
An dem Klischee, die Finnen seien ein naturverbundenes Volk, ist durchaus etwas Wahres, versichert Salla Rautiainen. Die junge Künstlerin stammt aus Kuhmo, einem Dorf im Nordosten Finnlands, in der Nähe der russischen Grenze. Was es dort vor allem gibt, ist Natur. Als Kind ging Salla Rautiainen gern in den Wald, beobachtete Tiere und Pflanzen. Und sie hat immer gern gezeichnet. Heute verbindet sich das, sucht sie in ihren Kunstwerken nach dem Gefühl von Himmel und weite, das sie in der finnischen Natur spürt.
Eine ländliche Umgebung schult die Wahrnehmung, sagt die Künstlerin: “Auf dem Land wird man nicht von Reizen überflutet wie im urbanen Umfeld, so wie es in Helsinki oder meiner Wahlheimat
Stuttgart oft der Fall ist. Sondern man kann das, was einen interessiert, erleben und auf das Erlebte in Ruhe eingehen. Auf dem Land gibt es einfach nicht so viele Dinge, die vom Wesentlichen
ablenken!
Mit der Zeit gewinnt man einen ganz anderen Blick für die Dinge, die Fähigkeit wahrzunehmen nimmt enorm zu. Manchmal ist das gut, manchmal auch nicht, denn es gibt Momente, in denen man von
vielen Eindrücken regelrecht erschlagen wird.“ Das erlebt die Künstlerin jedes Mal, wenn sie nach ihrer Rückkehr aus dem hohen Norden die Straßen Stuttgarts durchquert. Dann dauert es einige
Tage, bis sie sich an den Trubel der Stadt wieder gewöhnt hat.
Schnee und Eis glitzern in kühlen Weiß- und Blauschattierungen in ihren Gemälden. In der Serie „Pilkki – Ice fishing“ wirkt das ins Eis geschlagene Loch wie ein bodenloser Abgrund , der den unvorsichtigen Betrachter zu sich hinab zieht „Snow Whisper“, das Schneegeflüster, strahlt eine abstrakte Schönheit aus. Eine einsame Gestalt im schwarzen Mantel schaut aus dem in eisigen Glanz erstarrten Wald heraus, das Bild heißt auch schlicht „Metsässä – in the forest“. Und wenn Salla Rautianen ihren „Finnenkoffer“ öffnet, schwebt das typisch rote finnische Sommerhäuschen über den filigran ausgearbeiteten Silhouetten der Bäume. Die Künstlerin hat für diese Serie raffinierte, traumhaft unwirkliche Perspektiven gewählt. Kunst kann auch witzig sein: in der Collage-Serie: „OpenAir Cinema“ setzte sie einen warm verpackten Mann auf einer Bank in Rückenansicht mitten auf einen zugefrorenen See. Daneben steht ein Schild mit dem Kamera-Zeichen. Und der Film? Der Betrachter blickt den Mann auf der Bank über die Schulter und stellt fest: der Film ist die Landschaft!
Aber Salla Rautiainen ist keineswegs festgelegt, weder in der Wahl ihrer Themen noch in der Wahl ihrer Mittel. Die Tochter eines deutsch-finnischen Paares hat schon ihr Studium breit gefächert, Art & Design studierte sie am College im schottischen Inverness, Kunsterziehung an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Dort studierte sie zunächst in der Fachklasse für freie Grafik und Malerei, seit 2007 besucht sie die fachklasse für Zeichnung, Fotografie und neue Medien. Im Rahmen des Stipendiums ging sie an die Helsinki University of Art and Design, um dort ein Semester am Department of Visual Culture zu studieren. Ihr besonderes Interesse: Environmental Art, also Umweltkunst. Wenn sie Führungen übernimmt, dann weiß sie wovon sie spricht. Salla Rautiainen ist es wichtig, ihre künstlerischen Vorstellungen selbst umzusetzen, ohne die Arbeit von jemand anderen ausführen zu lassen, was heute nicht selten ist.
Kunstvermittlung findet die finnische Künstlerin ausgesprochen spannend, denn wie Menschen auf Kunst zugehen, was sie in Kunstwerken sehen, ist je nach Alter, Bildungsstand und kulturellem
Hintergrund verschieden. Gerade Fotografie, Video, Film und Performance sind zwar in der Kunstszene etabliert, aber dem breiten Publikum eher suspekt. Beliebte Frage: Das soll Kunst sein?
Hinterfragen ist erlaubt, Salla Rautiainen betrachtet es als Aufgabe von Kunst, die Betrachter zum Denken anzuregen und die Welt, in der man lebt, zu hinterfragen.
Für Salla Rautiainen soll ein Bild „ein Ort der Entspannung sein, der zum Träumen anregt“, und es soll die weite der Natur spiegeln. Andere Themen erfordern andere Mittel, sagt die Künstlerin.
Sie wählt ihr Medium – Zeichnung, Fotografie, Video – passend zu ihrer Idee, schließlich kommt zuerst die Idee, dann das Nachdenken über die
Umsetzung. Eine schnelllebige Zeit erfordere manchmal ein schnelllebiges Medium, so Salla Rautiainen. Im Stadium des Nachdenkens über die künstlerische Umsetzung befindet sich gerade ihr neuestes
Projekt. Eine Second Hand-Mode-Kette in Helsinki, in der Einkaufen richtig Spaß mache, weil die angebotenen Kleider von guter Qualität seien, hat Salla Rautiainen inspiriert. Umweltschutz durch
Recycling statt Billig-Klamotten zum Wegwerfen lautet ihr Motto. Ob die Idee sich besser in einem Film ausdrücken lässt oder in Fotos, eher in einer Installation als in einem Gemälde, wird sich
herausstellen.
Das Thema Überfluss und Wegwerfgesellschaft treibt sie jedenfalls um, denn diese Art von Konsum schadet auch der Natur.
Veröffentlicht: Kulturkalender. Das Kulturmagazin für Baden-Württemberg.
Thema: Musenkuss. Wie nehmen große Künstlerbiografien ihren Anfang?
Ausgabe 1/2008